Die zwei Essensmuster bei ADHS
Essen als neurodivergente Person ist häufig nicht nur simple Nahrungsaufnahme, sondern mit mehr Schwierigkeiten verbunden, als sich eine neurotypische Person vorstellen kann. Besonders häufig treten zwei bestimmte Essensmuster auf, die ich im Nachfolgenden erläutern werde.
Essensmuster 1: Das Fasten-Binge-Muster
Das erste Essensmuster zeigt sich daran, dass häufig den ganzen Tag über sehr wenig gegessen wird und es dafür abends zu Binge-Attacken kommt. Meist ist die geringe Nahrungszufuhr über den Tag nicht absichtlich, sondern entsteht dadurch, dass vergessen wird, zu essen. Das kann zum Beispiel an Hyperfokus liegen - man ist so fokussiert auf seine Aufgabe, dass man alles darüber hinaus vergisst. Es kann aber auch an der geringeren Fähigkeit zur Interozeption von ADHSler*innen liegen - Menschen mit ADHS können oft Hungergefühle nicht richtig wahrnehmen, vor allem, wenn der Hunger noch nicht zu stark ist. Es kann sein, dass ein “komisches Gefühl” wahrgenommen, aber schlicht nicht dem Hunger zugeordnet wird. Ein wählerisches Verhalten bei der Nahrungsmittelauswahl kann ebenfalls ein Grund für wenig Essen tagsüber sein - bevor man irgendetwas isst, das einem nicht wirklich zusagt, isst man lieber gar nichts. Außerdem können auch stimulierende Medikamente den Appetit tagsüber senken und zu geringer Nahrungsaufnahme führen.
Das Problem mit diesem Essensmuster ist nun, dass dem Körper Nährstoffe und Energie fehlen, weil tagsüber so wenig gegessen wurde. Und unser Gehirn ist sehr gut darin, dafür zu sorgen, dass fehlende Nährstoffe ausgeglichen werden. Was nun also passiert ist, dass es Abends, wenn ohnehin schon viele der mentalen Kapazitäten verbraucht sind, zu einem Binge-Anfall kommt, bei dem wahllos alles gegessen wird, was viel Energie und Dopamin liefert. Durch die fehlende Interozeption von ADHSler*innen wird auch häufig weit über das Sättigungsgefühl gegessen, da dieses nicht gut wahrgenommen werden kann. Schuldgefühle oder Scham während des Überessens können das Binge-Verhalten weiter befeuern, weil versucht wird, diese unschönen Emotionen durch Dopamin durch Essen zu kompensieren.
Essensmuster 2: Das Dauer-Snack-Muster
Das zweite Essensmuster bei ADHSler*innen ist das komplette Gegenteil des ersten Musters: Hier werden dauerhaft kleine Portionen oder Snacks gegessen. Dies geschieht meist, um Unter- oder Überstimulation auszugleichen - Essen dient hier als Stimming-Tool.
Du kannst erkennen, dass du betroffen bist, wenn mehrere der folgenden Punkte auf dich zutreffen:
Du snackst häufig während langweiliger oder eintöniger Arbeiten.
Du snackst, wenn du emotional, ängstlich oder ruhelos bist.
Du snackst häufig in lauten, hellen, reizstarken Umgebungen oder in/nach Situationen, die zu viel waren.
Die Konsistenz des Essens oder nur der Akt des Kauens selbst ist dir wichtiger als das Sättigungsgefühl oder sogar der Geschmack.
Du bevorzugst Snacks, die eine starke geschmackliche oder haptische Komponente haben, z.B. sehr scharf, süß, cremig oder knusprig.
Viele ADHSler*innen folgen nicht nur einem Essensmuster, sondern wechseln häufig zwischen den beiden Mustern hin und her, abhängig davon, wie es ihnen geht oder was in ihrem Leben gerade los ist.
Du kennst jetzt also die beiden häufigsten Essensmuster bei ADHS und ihren physiologischen Hintergrund. Was also tun?
Wenn du eher mit dem ersten Muster zu kämpfen hast, kann es helfen, darauf zu achten, dass du tagsüber ausreichend isst. Vielleicht hilft die ein Alarm, der dich ans Essen erinnert oder Meal Prep. Auch solltest du nach einem abendlichen Binge-Anfall nicht am nächsten Tag aus Kompensationsgründen nichts essen - dadurch bleibst du nur in dem Teufelskreis.
Wenn du dich eher in dem zweiten Muster wiedererkennst, kann es helfen, dass du dir andere Wege suchst, um dein Nervensystem zu regulieren. Das können Fidget Tools sein, Atemübungen, Tanzen - was auch immer dir gut tut. Wichtig ist, zu erkennen, warum du gerade das Bedürfnis hast, dich zu regulieren.
Wichtig bei beiden Essensmustern: Verurteile dich nicht dafür. Hinter beiden Essensmustern liegen physiologische Gründe. Diese kannst du verstehen und lernen, mit ihnen umzugehen. Nichts davon ist deine Schuld!
Ich hoffe, das war hilfreich für dich.
Deine Eva :)